Überlinger See – Fingerzeig nach Nordwest
Wie ein skandinavischer Fjord liegt der schmale Finger des Überlinger Sees tief eingeschnitten zwischen dem Bodanrück im Südwesten und den Hügeln des Linzgaus im Nordosten. Hier gehen landschaftliche Reize und geologische Besonderheiten eine ganz enge Verbindung ein. An der See- und Uferlandschaft wunderbar abzulesen ist die eiszeitliche Entstehungsgeschichte dieser an Naturphänomenen wie Kulturgeschichte reichen Region.
Eine Zunge des Rheingletschers hatte sich während der Würm-Eiszeit vor rund 20.000 Jahren durch die Ablagerungen der zeitweilig bis hierher reichenden Meeresarme und die Sedimente der Süßwasserseen aus dem Tertiär gefräst. Mit etwas Glück lassen sich in den aufgeschlossenen Schichten heute noch fossile Haifischzähne als Beleg der marinen Vergangenheit finden. Nach dem Abschmelzen der Gletscherzunge blieben das heutige Seebecken und manche außergewöhnliche glaziale Erscheinungsformen in der Landschaft zurück. Die sanften Moränenhügel erinnern an erstarrte Walrücken und prägen das Bild des angrenzenden Linzgaus.
Die Fährlinie zwischen Meersburg und Konstanz markiert den Anfang des Überlinger Sees. Wie an einer Perlschnur gezogen setzen die Schiffe hier im Dauerbetrieb die Bundesstraße als schwimmende Brücke fort. Von der Fähre aus bietet sich auch ein schöner Blick auf das von Weinbergen umrahmte Meersburg – mit seiner trutzigen Burg, in der einst Annette von Droste-Hülshoff mit Blick auf den See ihre Gedichte verfasste, dem prächtigen Schloss der Konstanzer Fürstbischöfe und seiner verwinkelten historischen Altstadt, die schon 1954 als erstes Ensemble in Südwestdeutschland unter Denkmalschutz gestellt worden war.
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Der Weg nach Nordwesten führt in das vom Fremdenverkehr stark geprägte Fischerdorf Unteruhldingen und in die frühe Siedlungsgeschichte des Menschen. Dass er sich an den Gestaden des Sees schon immer wohl gefühlt hat, belegt ein Ausflug in die Stein- und Bronzezeit im Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen, das schon 1922 gegründet wurde und zu den ältesten Freilichtmuseen zählt. Mit moderner Museumspädagogik und attraktiven, aber authentischen Installationen wird hier der Alltag verschiedener Epochen unserer Vorfahren lebendig. Ein großer Parkplatz am Ortsrand entlastet Unteruhldingen vom Autoverkehr. Hier ist mit dem „Reptilienhaus“ im Jahr 2005 ein weiteres attraktives Ausflugsziel für Tierfreunde in seine ursprüngliche Heimat zurückgekehrt. Das angrenzende Naturschutzgebiet Seefelder Aach ist das älteste am See und ein wichtiges Refugium für Zugvögel.
Schon von Unteruhldingen aus zu sehen ist hoch über dem See die Wallfahrtskirche Birnau, ein barockes Ausrufezeichen des früheren Zisterzienserklosters Salem. Die Heimat des „Honigschleckers“, des beliebtesten süßen Engelchens von Feuchtmayer, wird jetzt von einem Priorat des österreichischen Klosters Mehrerau betreut. Das unmittelbar am Seeufer gelegene Schloss Maurach, einst Sommerresidenz der Salemer Äbte, ist heute ein Tagungszentrum der Landeskreditbank Baden-Württemberg, in dessen Galerie auch Kunstausstellungen zu sehen sind.
In nur zehn Autominuten oder nach einer schönen Wanderung über den „Prälatenweg“ (gut 1,5 Stunden) ist von hier das Schloss Salem zu erreichen, das seit der Säkularisierung im Besitz der Markgrafen von Baden ist und einen Teil der bekannten Internatsschule beherbergt. Im Herzen des Linzgaus und des fruchtbaren Tals der Salemer Aach hatten die Zisterzienser im 12. Jahrhundert ihr Kloster gegründet, das zu einer Blüte von Kunst und Architektur in der Region führte. Wer sich der biologischen Evolution des Menschen zuwenden will, der findet dazwischen am Salemer Affenberg quicklebendige Anregungen. Ein Völkchen von über 200 Berberaffen fühlt sich hier pudelwohl und lässt sich gerne füttern. Über ihren Köpfen ziehen klappernde Störche ihren Nachwuchs auf.
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Schöne Ausblicke bieten in unmittelbarer Nähe der Luftkurort Heiligenberg mit seinem weithin sichtbaren Fürstenbergischen Schloss oder der Owinger Teilort Hohenbodman mit seinem Aussichtsturm, unter dem sich der Aachtobel als reizvolle Schlucht schlängelt. Dazwischen liegt inmitten von Apfelplantagen Frickingen, das drei kleine, aber feine Museen zum Gerberhandwerk (Ortsteil Leustetten), zu Obstbau und Tüftlergeist zu bieten hat. See- und Bergpanorama genießen können sportlich Ambitionierte auch vom traumhaft gelegenen Golfplatz Lugenhof bei Owingen.
Das Konzept des Landschaftsparks Bodensee-Linzgau verknüpft Natur und Kultur, Schutzbedürftigkeit und Nutzungsansprüche in einer Region, in der Obst- und Weinbau eine wichtige und prägende Rolle spielen. Verschiedene „Erlebniswege“ führen Wanderer und Radler zu lohnenden Zielen und bieten Informationen zu Schwerpunktthemen. Eine Stiftung des Tierfilmers Heinz Sielmann engagiert sich hier stark für eine Renaturierung und Vernetzung von Biotopen in der Auenlandschaft; erster sichtbarer Ausdruck ist ein Weiher im Urstromtal bei Billafingen.
Gewachsener Mittelpunkt an diesem Teil des Sees ist die Stadt Überlingen, deren Gründung auf das 8. Jahrhundert zurückgeht. Vom Krieg weitgehend verschont und daher gut erhalten ist die historische Altstadt. Das mediterrane Flair bescherte der ehemals freien Reichsstadt schon im 19. Jahrhundert das Attribut „Nizza am Bodensee“. Die Ende 2003 eröffnete Bodenseetherme knüpft in neuer Form an die alte Tradition des Kneippheilbads (seit 1955) an.
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Mit der zeitgleich gebauten Meersburg Therme ist am nordwestlichen Seeufer eine moderne Bäderlandschaft entstanden. Beliebtes Ausflugsziel für Familien ist der „Haustierhof Reutemühle“ bei Überlingen, der mit rund 150 Tierarten als „artenreichster Bauernhof Deutschlands“ gilt. In unmittelbarer Nähe, in Überlingen-Bambergen, hat sich Landwirt Gerhard Plessing auf dem „Neuhof“ eine eigene Landebahn geschaffen und nimmt in seinem Leichtflugzeug auch Gäste zu Rundflügen mit.
Ein sehr seltenes geologisches Phänomen ist das Naturdenkmal „Gletschermühle“ bei Überlingen-Goldbach, ein von „Mahlsteinen“ durch Wirbelbildung beim Abfluss des Gletscherwassers ausgehobelter Trichter im Molassefels mit 20 Meter Durchmesser. Kleine Flüsse und Bäche haben sich zudem in die Sedimente von Meeres- und Süßwassermolasse eingegraben und die heutige Landschaft geprägt. Der Hödinger und der Spetzgarter Tobel bei Überlingen haben den Charakter einer Gebirgsklamm und sind mit gutem Schuhwerk eine Wanderung wert – ebenso wie die wildromantische Marienschlucht am Bodanrück auf der gegenüberliegenden Seeseite, die noch etwas dramatischer wirkt.
Die Steiluferlandschaft zieht sich weiter bis über Sipplingen hinaus. Am besten zu beobachten ist die Biographie des Überlinger Sees am Panorama vom hoch oben gelegenen Haldenhof. Das beliebte Ausflugsziel mit Gartenrestaurant und das Dorf der Kirschbäume und Brennereien verbindet ein geologischer Lehrpfad, der zu einer erdgeschichtlichen Zeitreise einlädt. Der Sipplinger Berg ist auch Standort der Bodenseewasserversorgung, die inzwischen mehr als vier Millionen Menschen in Baden-Württemberg mit Trinkwasser beliefert. Magere, fast mediterrane Halbtrockenrasen an den Südhängen des Naturschutzgebiets am Köstener Berg bilden hier besondere botanische Biotope und lassen im Frühsommer zahlreiche Orchideen erblühen.
Die Topographie des Steilufers setzt sich unter der Wasseroberfläche fort – bei Überlingen bis vor knapp 200 Jahren sogar nahtlos. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurde ein Verbindungsweg nach Sipplingen in den Fels geschlagen. Der Abhang auf dem Seegrund verspricht spannende Abenteuer unter Wasser. Deshalb ist gerade der Überlinger See zu einem Dorado für Taucher geworden. Nicht nur im Winter, wenn die Sicht am klarsten ist, lockt der See hier Froschmänner in Scharen an. Magischer Anziehungspunkt war lange Zeit der sogenannte „Teufelstisch“ bei Wallhausen, eine fast 90 Meter hohe Felsnadel (markiert durch das Seezeichen 22), deren 15 Meter breites Plateau bei normalem Pegel knapp unter der Wasseroberfläche endet. Nach zahlreichen tödlichen Unfällen gilt hier inzwischen allerdings ein strenges Tauchverbot.
Die Doppelgemeinde Bodman und Ludwigshafen säumt das Ende des Überlinger Sees und das Mündungsgebiet der Stockacher Aach im Nordwesten. Im Bereich des kleinen Deltas sind geschützte Schilfgebiete entstanden, in die der seenahe Wander- und Spazierweg zwischen den beiden Orten schöne Einblicke bietet. Die ehemalige Kaiserpfalz Bodman stand Pate für den heutigen deutschen Namen des Sees. Auch die Wurzeln des Weinbaus in der Bodenseeregion werden hier gerne lokalisiert. Der sogenannte „Königsweingarten“ gilt als Sprungbrett an den See. Karl III., „der Dicke“, soll hier im Jahr 884 die ersten Burgunderreben gepflanzt haben. Ein Blick über den Zaun des Bildhauers Peter Lenk macht Appetit auf die Konstanzer Imperia und andere Skulpturen, die einem in der Seeregion an vielen Orten begegnen. Von der Ruine Altbodman oder vom „Frauenkloster“ eröffnen sich nach steilem Aufstieg schöne Ausblicke, Bisonherden überraschen auf der Höhe des Bodanrücks.
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Oben durch lichte Hangwälder oder unten am See über einen schönen Wanderweg am unbebauten Ufer lässt sich von Bodman aus die Marienschlucht erreichen, der auf spektakuläre Weise ausgewaschene Einschnitt in die Sandsteinfelsen. Im Sommer legen hier auch Ausflugsschiffe an, die zwischen Überlingen und Bodman verkehren. Ein Pendelschiff verbindet Überlingen und Wallhausen, die Weiße Flotte steuert Dingelsdorf an, beide Ferienorte gehören schon zur Stadt Konstanz.
Als einzige Insel im Überlinger See schließt die Mainau unsere Umrundung ab. Der 2004 verstorbene Graf Lennart Bernadotte schuf hier ein Dorado für Blumenfreunde. Mit Linien- und Ausflugsschiffen ist die Mainau ebenso zu erreichen wie über eine Brücke vom großen Parkplatz. Alte knorrige Baumriesen und Parkanlagen mit nach Jahreszeit wechselnder Blütenpracht verstärken sich rund um das Schloss in ihrer optisch opulenten Wirkung. Gewächshäuser mit tropischen Orchideen und ein Refugium für zauberhafte Schmetterlinge, Kunstausstellungen und klassische Open-Air-Konzerte machen die Insel zum größten Besuchermagneten am Bodensee. (hpw)